Donnerstag, 12. März 2009

An die eigene Nase sollte man sich fassen

(Whyte)Wieder sind Schüsse gefallen, wieder war es in der Schule und wieder waren Unschuldige daran beteiligt. Wieder war es ein ausgegrenzter Schüler, wieder ein Computerspieler und wieder gibt es unzählige Diskussionen. Wieder wird gestritten, wer Schuld hat, wieder entschieden, was getan werden muss und wieder stehen dem alle im Weg. Wieder wird nur geredet, wieder wird es geschehen – so war die Lage, so ist sie heute und so wird sie auch morgen sein, denn: In Deutschland wird zu viel geredet, zu wenig gehandelt.
Verständlich für die Einen, denn jeder Entscheidung muss ein gründliche Erklärung voran gehen. Alles muss erklärbar und verständlich sein, so wenig negative potentielle Entwicklungen mit sich bringen, aber ein Maximum an Effektivität erreichen. Unmöglich! Schwachsinn! Bullshit!
Man sollte nicht darüber reden, was getan werden muss, man sollte handeln!

Die Sachlage hier ist doch immer die Selbe: Etwas Grauenhaftes geschieht, jemand entscheidet sich etwas zu tun, tausende sind dagegen, also wird es nicht getan und es geschieht wieder. So kommt man doch nicht vorwärts, meine Damen und Herren, so kommt man vielleicht irgendwohin, aber niemals vorwärts.
Setzen wir das mal in ein Beispiel um: Gewaltverherrlichende Videos erscheinen im Internet, Menschen werden umgebracht, Menschen werden verletzt, Menschen werden … Da das nun nicht mehr viel mit „Freie Meinungsfreiheit“ zu tun hat, ist allen klar und jeder halbwegs Vernünftige wird dort 23 leuchte Warnblinker vor seinem geistigen Auge haben. „Das kann doch gar nicht sein blablabla dagegen müssen wir etwas tun!“, wird proklamiert. Auch alle Leser und Hörer sind dafür „Dagegen muss vorgegangen werden! Wer sowas verbreitet, fördert nur die Unterhaltung an einer Massenabschlachtung!“, schreien ehemalige Marktschreier, jetzt gebildete Psychologen und im Moment Voranschreiter des erbosten Volkes. Das Volk wandert einfach hinterher, den Blick stur auf die Taten auf dem Boden gerichtet. Jetzt gibt es aber tatsächlich Menschen, die etwas tun bzw. die vorhaben etwas zu tun, wie z.B. ein Verbot solcher Videos. Ja, das wäre doch was. So könnte man solch frivoler Taten die schon längst abseits aller pubertierenden Träume entstanden entgegen kommen. Doch „Halt!“ schreit das Volk. „Halt“ schreien, richtig, eben jene die eben noch forderten, etwas müsse getan werden. „Halt!“ rufen sie noch einmal, „Wer hier anfängt sich einzumischen, der macht später auch nicht vor anderem Gedankengut halt. Wir müssen das aufhalten, bevor sie zu frech werden!“ Und wieder wird marschiert, doch jetzt gegen den, der die Initiative ergriff und etwas tat. Jetzt ist er der Buhmann. Das Volk rennt wieder hinterher und gibt ab und zu Laute von sich, doch diesmal ist der Blick nach oben gerichtet. Wer weiß, vielleicht hofft man ja. Spätestens hier bemerken die Dummen, dass sie nicht wissen, wofür sie sind, die Schlauen hingegen sind so in der Materie, dass sie voll aufgehen.

Und jetzt steh ich hier, ebenfalls Doktor in Psychologie und ehemaliger Marktschreier, und ich schreie auch „Halt!“, gebe eine kurze Kunstpause und sage dann: „Das ist der falsche Weg. Da bin ich mir sicher.“ Denn wenn wir so weitermachen mit der Schizophrenie, werden wir aus diesem Kreis nicht entkommen. Ich sage: „Handelt!“ und lasst die Liberalen, die Pazifisten, die Patrioten, die Grünen, die Roten, die Schwarzen, die Gelben, die Bunten, die Lilanen, die Runden, die Eckigen (ganz besonders die Eckigen), die Verschmähten, die Marktschreier und Psychologen reden und klagen – denn das was sie tun ist wirklich nichts. Sie reden und klagen und reden und klagen und damit kommt man nicht weit. Ein Kind hört da nicht zu, ein Jugendlicher schaltet auf Durchzug und Erwachsene sind zu stur dafür. Wir haben schon mal nicht gehandelt und es hat sich nichts verändert.

Und jetzt noch mein Senf zu „Killerspielen“. Sie sind der so oft angesprochene „Letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“. Die Anfänge spielen sich immer zu Hause ab: Bekommt das Kind genug Liebe, genug Zuneigung, hören die Eltern zu, kümmern sie sich um ihn, geben sie ihm alles, sagen sie auch mal nein, sind sie aufopfernd, erkennen sie, dass man einem Kind sein ganzes Leben widmen muss, oder nicht? Da fängt es doch an. Wenn man falsch aufwächst, unter den schlimmen Bedingungen geweiht, wird man sich nie wirklich entfalten können, wie man möchte. Dann kommt die Schule hinzu, Schüler die einen ausgrenzen, Lehrer die nicht an ihn glauben bzw. nicht genug Zeit haben um sich die Geschichte anzuhören. Das Umfeld in das er gezwungen wird, das Image das ihm aufgedrückt wird, die Situation in der er leidet. Zu Hause immer noch niemand der ihm zuhört – so fühlt er sich verlassen von allen Seiten. Einsam auf schlimmen Pfaden, jeder Gang zur Schule eine Qual. Wen wundert es, dass er sich da nicht eine Konsole nimmt und anstatt niedlicher Optik lieber die harte, realitätsnahe Welt mit der Uzi wählt. Da muss mehr getan werden, gezielter geholfen, da fängt es an. Es ist zu spät seinen Lebenswillen zu erörtern, wenn bereits sämtliche Säulen seines Lebens abgerissen wurden und er mit Eifer an der Letzten arbeitet. Aber ich glaube, es ist jedem klar, worauf ich hinaus will. Und mir ist ebenfalls klar: Bei einer unglaublichen Dunkelziffer an Kindern, die in keinem geregelten oder annähernd erfüllten Familienhaus aufwachsen, ist es unmöglich sich um alle gleich zu kümmern. Auch die Lehrer, wenn sie mal genug Zeit hätten für einzelne Schüler, können keinen Ersatz darstellen. Sie können allerhöchstens helfen, den Schüler unter andere Schüler zu bringen.

Was erwarten wir eigentlich alle vom Staat? Ihm sind zwar die Hände gebunden, aber wir haben sie doch zugeschnürt. Er kann vielleicht in kleinen Kreisbewegungen etwas bewirken, aber solange wir nicht helfen, geht bei ihm gar nichts. Und um das zu schaffen, müssen wir in erster Linie uns selbst helfen. Fangt an eure Kinder zu lieben und euch im sie zu kümmern, dann kann der Staat anfangen, mehr zu helfen und dann, aber auch nur dann, sind Gewaltspiele und Killervideos nur noch Ausdrücke jugendlich-rebellischer Phantasien, bevor man dann auf „Pause“ drückt und zum gemeinsamen Abendessen mit der Familie gerufen wird.

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