Dienstag, 23. September 2008

Warum ich ein Türke bin und die anderen Kanaken

(Whyte) Sagen wir es doch wie es ist: Die Leute nennen uns Ausländer, vorwiegend Türken, Kanaken. Ob nun einige wissen was es heißt oder auch nicht, ist eher nebensächlich, wichtiger ist, dass die Leute wissen, dass es wie ein Ausdruck klingt und das bleibt haften. Fakt ist, ein prägender Teil der Gesellschaft wird auf solch ein Wort reduziert und was tut dieser Teil um sich zu verteidigen? Richtig, er greift an. Aber nicht klug konternd, sondern schön mit geballter Kraft alles vorne raus. Nun bin ich nicht einer, der den geradlinigen Weg verurteilt und den politischen Weg drum herum schätzt, aber ich finde dann doch, er sollte einen Sinn haben, oder, zumindest das, zu etwas führen.

Der grundlegende Gedanke dahinter ist, dass sich der Betroffene, da dieser spezielle Betroffene eine Konstante in meinem Text bilden wird, bekommt er das Kürzel „K“, gegen die ihm vorliegenden Vorwürfe wie „Ihr Kanaken seit zu nichts zu gebrauchen außer für die dreckige Arbeit, die wir nicht wollen“ oder „Asoziales Pak, ihr könnt nichts außer uns unsere Frauen zu klauen und wenn man euch was sagt, werdet ihr gleich sauer und schlagt zu“, zu wehren versucht. Leider tut er es häufig mit einer Schlägerei, die, so scheint es zur Mode geworden zu sein, mit dem Handy gefilmt wird um dann diese ehrwürdigen Momente mit den Freunden zu teilen – und dann wundert man sich, woher diese Vorwürfe nur herkommen. Er wird auch nie wissen, dass er versucht, Feuer mit Feuer zu bekämpfen oder sogar biblisch handelt. K kennt nur den Koran. Vom Hörensagen.

Gehen wir ein bisschen Klischeehafter weiter: Ks Eltern reisten aus der Türkei nach Deutschland mit einer etwas fragwürdigen Mentalität. Ich schreibe bewusst, dass die Eltern hierher reisten und nicht, dass sie ankamen, denn diese haben von Bekannten von den Möglichkeiten gehört, die dieses Land ihnen bietet und nun das Bild eines großen Weihnachtsmannes im Kopf. Dadurch wird alles, was hier eingenommen wird, alles was eingekauft wird, sofort konserviert für die Türkei. Ks Eltern denken sich, dass sie, wenn sie hier genug Geld sparen, bald wieder in die Türkei zurück können. Das Entscheidende hierbei ist nun, was Ks Eltern tun und was sie ihm beibringen. K lernt, dass es bald in die Türkei zurück geht, daher strengt er sich nicht in der Schule an, doch was er nicht sieht, sind die Strapazen für seinen Vater, nur für einmal Türkei und dann wieder zurück. K schafft seinen Hauptschulabschluss, wahrlich eine Großtat für ihn, denn jetzt gehört er zu den Gebildeten in seinem Kreis. Auf die Schule hat er generell nicht viel gegeben, denn er weiß, dass in Deutschland ein Leben ohne Arbeit möglich ist. Auch noch ein sehr gutes sogar, wenn man weiß, wie. Dass es auf Kosten des Staates geschieht, das weiß er nicht. Es würde ihn auch nicht interessieren. Er hat sich nun nicht beworben, wo auch. Ihm ist durchaus bewusst, dass er einen sehr schlechten Abschluss hat, wahrscheinlich sogar einen sehr schlechten Kopf. Also, einen Zeugniskopf. Aber er konnte auf keine Hilfe von seiner Familie zurückgreifen. Diese hatte einfach zu viel zu tun. Also geht K auf die Straße, zu seinen Freunden, denen es vielleicht nicht besser geht, vielleicht aber sogar schlechter. Weil der Vater nichts übrig hat vom Geld für den Sohnemann, muss er zusehen, woher er das bekommt, was er will und welcher Weg führt da einen kleinen, unbedeutenden Mann, der sich von der Welt missverstanden und ungerecht behandelt führt nach ganz oben? Natürlich der Tony-Montana-Path. Von dem wissen die Eltern dann auch nicht bescheid. Natürlich nicht.

Die Folge solcher Entwicklungen ist verheerend. Einmal für den Staat, als auch für die Gesellschaft. Er wird sich so als Individuum nie behaupten, oder irgendwie anders in die Gemeinschaft integrieren können. Das liegt nicht nur an ihm. Unsere verkorkste Gesellschaft hat es sich einverleibt, am sozialen Stand eines Menschen zu entscheiden, ob man ihn entweder auf die Innen- oder Außenbahn einer Gruppe drückt. So lernt K auch schnell, dass er für diese Personen nichts wert ist, was ihm nur noch mehr in seiner Scarfaceüberzeugung bestärkt.

Das ist das Grundmanifest. So wird er nie Manieren oder Anstand lernen, nie einen festen Standpunkt haben und nie in der Lage sein, etwas zu verändern.

Und an diesem Punkt ist K weiter weg davon ein Türke zu sein als jemals zuvor. Denn ein Türke lebt nach anderen Prinzipien. Er lebt und liebt das, was er hat und nicht das, was er nicht hat. Ein stolzer Türke ist derjenige, der weiß wo er herkommt, wo er hin will und was er tun muss. Materielle Güter sind eher zweitrangig. Sie sind schön anzusehen, aber mehr auch nicht, diese werden kommen und gehen, doch sie bringen ihm nichts, wenn er nicht glücklich ist. Wenn er mit seinem eigenen Stand nicht zufrieden ist, dann wird er daran arbeiten und sich auch verbessern.

Der moderne Türke ist weltoffen und empfängt neue Sichtweisen mit offenen Armen, doch dabei vergisst er nie seine eigene Kultur und Traditionen. Er assimiliert sich in seinem Umfeld bis er ein Teil davon wird, bis er nicht nur toleriert, sondern auch akzeptiert wird, doch hält sich immer eine Tür offen um eventuellen Gefahren prophylaktisch vorzubeugen. Er lernt von und für sein Umfeld und versucht sich geistig immer fit zu halten. Er macht Abitur, seinen Doktor, seine Ing. und seinen Professor.

Auf all das bin ich sehr stolz. In der Türkei, im Dorf, als auch in der Stadt, durfte ich den Wandel von der konservativen Insel (metaphorisch) zum EU-Kandidaten mit verfolgen und ich bin sehr glücklich, solch einer Nation und solch einer Familie anzugehören. Sie geben sich solch eine Mühe, arbeiten Tag ein, Tag aus auf dem Feld, der Wiese, im Wald, überall um ihren Kindern genug Nahrung und eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Dort helfen die Kinder jeden Tag ihren Eltern, ohne dass diese nachfragen müssen. Ich hab Kinder gesehen, die viel jünger waren als ich, aber viel länger arbeiteten. In einigen Dörfern müssen die Kinder einen 40Minuten Lauf den Berg hinunter zur Schule machen und diesen dann auch wieder zurück. Dennoch, dort beklagt man sich nicht sehr. Trotz all dem sind diese Familien glücklich. Es wird viel gelacht und viel gefeiert. Und dann komme ich zurück nach Berlin sehe diese „Türken“, die ihr Geld zum Fenster rauswerfen, ergattert durch Betrug, Handel oder Diebstahl. Sie „schwören“ auf „Ehre“, aber was könnte unehrenhafter sein, als harte Arbeit, die für sie getan wird, nicht entsprechend zu würdigen?

Und vor allem, was bleibt für die wahren Türken am Ende? Der fade Geschmack der Vorurteile. Türken die sich weigern etwas zu tun, reflektieren ihr Bild auf alle anderen Türken. Dann zählen keine Titel und keine Adelungen mehr, sondern nur noch der nackte Kampf gegen das Vorurteil. Wieder einmal.