Samstag, 5. November 2011

Der Trend geht zur Zweitsprache "Deutsch"

Die erste Sprache die ein Kind lernen sollte, ist die Muttersprache. Punkt. Kein Kind kann in einem japanisch Haushalt mit perfektem Deutsch aufwachsen und dann erst später, in der Schule, Japanisch fehlerfrei lernen. Diesem Spracherwerbsrhythmus sind wir uns eigentlich alle einig, auch Regierungschefs betonen ganz rigoros: „Wenn ein Kind eine neue Sprache erlernen solle, müsse es die eigene Sprache gut können. ‚Andernfalls kann man keine zweite Sprache erlernen.‘“ Durchaus logisch und allem zustimmend liest man diese Zeilen und denkt sich nichts dabei, bis dann der linke Nachbar des Satzes kommt und ich hier nachträglich hinzufüge: „Erdogan bekräftigte, Türken in Deutschland sollten ihren Kindern zuerst Türkisch und dann Deutsch beibringen.“ – Da haben wir den Salat!

Man ist durchaus gewillt zuzustimmen, aber nur unter der Vorraussetzung, dass es einen selbst nicht betrifft. Denn in Deutschland, so scheint die Regelung klar, lernt man zuerst Deutsch und dann alles andere. Das geht aber nicht mehr mit unserer Eingansthese konform – und bei jeder Antwort die einfällt, muss auch bedacht werden, dass sie für uns gilt, wenn wir woanders hinziehen würden. Die Theorie obsiegt, ganz egal dem Fall, ob eine Auswanderung auch wirklich geschehen wird.

Wir haben also Erdogan, der für die Erstsprache Türkisch plädiert, wir haben Gül, der für ein besseres Deutsch eintritt und wir haben Westerwelle, der klar sagt: Deutsch ist Pflicht.
Sprache ist weitaus mehr als nur Kommunikationsmittel, es ist der Kulturträger überhaupt. Kein Medium kann ein Volk und seine Eigenarten so präzise und prägnant präsentieren, wie die Sprache. Vom Benehmen über Begrüßungen bis zum Banalen vertritt die Sprache repräsentativ ein ganzes Land (manchmal mehr, manchmal weniger). Daher ist der Erwerb der Erstsprache auch so ein ausschlaggebender Punkt für die Nationen: Die Identifikation mit dem Erlernen zeigt die Zugehörigkeit und einen gewissen Patriotismus. Wenn in Deutschland alle Türken der neuen Generation zuallererst perfekt Türkisch beigebracht bekommen, so senden sie ein Signal: Wir gehören noch dazu!

Allerdings ist Sprache nunmal auch ein Kommunikationsmittel. Lernen alle nur ihre eigene Sprache, müssten wir uns alle neu formieren und eine neue Welt schaffen. In der Tat vielleicht sogar ein sehr lustiger Gedanke, alles auf Null und von vorne, aber wohl eher nicht machbar. Also müssen wir die Landessprache auch beherrschen. Schwerer getan als gesagt, denn, wenn wir unsere eigene Sprache nicht können, können wir unmöglich eine zweite erlernen, Erdogans These.

Wie in vielen anderen Beiträgen, Kommentaren oder Diskussionen muss ich auch hier wieder anregen: Es kommt alles darauf an, wie die Kinder erzogen werden, es kommt alles auf das Zusammenspiel der Eltern und des Staates an.

In Deutschland ist es nicht schwer Deutsch zu erlernen, der Staat bietet viele Schulen, und noch mehr Beratungsstellen, und damit viele Möglichkeiten für den Erwerb der Sprache, sei es an der Abendschule für Erwachsenen oder in der Krippe für Kleinkinder, die Landessprache ist ein muss! Allerdings ist Erdogans These nicht komplett hinfällig, gerade hier möchte ich auf die enorme, in die Augen springende Präsenz des „unsere eigene“ aufmerksam machen. Das Deutsche schließt das Eigene nicht aus, es machts nur schwerer.

Wo gehöre ich hin? Als Deutscher in China, welche Sprache hat Priorität? Als brazilianischer Mann mit russischer Ehefrau in Afrika, was nun? Wichtiger noch als die Zugehörigkeit zu einem Land ist die Identifikation mit der eigenen Kultur. Da wo ich mich heimisch fühle, dort ist „meine“ Sprache auch heimisch, diese Sprache muss ich weiterführen und in mir behalten, denn sie ist das Wärmste das ich habe.

Aus meiner Sicht ist das Ganze nach diesem Beitrag sehr deutlich (das kann aber auch daran liegen, dass ich noch keine Kinder habe): Zuerst muss erschlossen werden, was die „eigene“ Sprache ist und im nächsten Schritt muss dann zugesehen werden, wie die Landessprache dem Kind so gut wie möglich beigebracht werden kann. Im gewissen Sinne gebe ich Erdogan recht: Priorität auf die eigene Sprache, aber auf keinen Fall die Zweitsprache ausklammern. Außer wenns japanisch ist, das könnte dann doch zu schwer sein.